• Lehrmittel zu Behinderung
Vorwort

Was ist Würde, was wertes oder unwertes Leben? Woran leiden behinderte Menschen wirklich? Welche Rolle spielt dabei, wenn gewisse Funktionen bei einem Menschen eingeschränkt sind? Welche Rolle spielt die Aufnahme, die der behinderte Mensch in der Gesellschaft findet? - Das sind Fragen, die uns alle betreffen.
Nichts garantiert, dass nicht jede und jeder von uns einmal dazu gezwungen würde, sich mit «Behinderung» und «Krankheit» auseinander zu setzen: Weniger als 5 % aller Behinderungen sind angeboren - und davon ist auch bloss ein sehr geringer Teil genetisch bedingt. 95% aller Behinderungen werden im Laufe eines Lebens erworben: infolge Schwierigkeiten während der Geburt, wegen Krankheiten und Unfällen oder sie entstehen altersbedingt.
Es gibt keinerlei Gewissheit, dass nicht auch wir schon morgen zu den behinderten Menschen gehören. Weil wir jedoch nicht ständig an diese Möglichkeit erinnert werden wollen, verdrängen wir sie, betrachten Behinderte grundsätzlich als andersartig, scheuen den Kontakt mit ihnen und grenzen sie in vielerlei Hinsicht aus.

Ermöglichen wir Menschen mit Behinderungen das Leben, das wir selbst leben möchten, wären wir an ihrer Stelle? «Heutzutage tut man recht viel für Behinderte, aber nicht mit Behinderten.» (Luise Habel, Rollstuhlfahrerin) - Viele von uns haben vordergründig zwar nichts gegen Behinderte. Geht es jedoch darum, etwas mit ihnen gemeinsam anzupacken, sieht die Sache anders aus. Manche verzichten daher lieber auf den Kontakt mit Behinderten und beruhigen ihr Gewissen, indem sie etwas für sie tun. Schwellenängste und Hemmungen sind oft gegenseitig.
Es ist auch für viele Behinderte manchmal schwierig und kräfteraubend, offen auf Nichtbehinderte zuzugehen und sie aus ihrer Befangenheit herauszulocken. So verschanzen sich viele behinderte Menschen lieber in den eigenen vier Wänden, um sich schmerzliche Erfahrungen mit nichtbehinderten Menschen und frustrierende Erlebnisse zu ersparen, und versuchen erst gar nicht, am öffentlichen Leben teilzunehmen.

Diese Materialienmappe richtet sich an nichtbehinderte Jugendliche im Oberstufenalter mit dem Ziel, Hemmungen, Ängste und Vorurteile gegenüber körperlich Behinderten zu reflektieren und abzubauen sowie für die Probleme der körperlich Behinderten in unserer Gesellschaft sensibilisiert zu werden. Die hier ausgearbeitete Sammlung von aktuellen Informationen, Hintergründen und didaktischen Anregungen beleuchtet das Thema «körperliche Behinderung» unter verschiedenen Aspekten, erleichtert direkte Begegnungen mit Behinderten und hilft mit, sie als selbstverständlich zuAuf Rollen.. ..zusammen in einer Skaterhalle betrachten. Selbstverständlichkeit setzt voraus, dass man selber versteht.

Die Arbeit mit den Kopiervorlagen ersetzt keineswegs den direkten Kontakt. Einer Einführung ins Thema müssten im Idealfall möglichst viele gemeinsame Aktivitäten folgen, denn so können die Jugendlichen wirklich zur Einsicht gelangen: «Jetzt gseh'n ich de Rollstuhl nömme, nomme no de Mönsch, wo drin hockt!» Die Jugendlichen werden erfahren, dass dieser Mensch in seinem Wesen nicht anders ist als sie selbst es sind und werden ihn dementsprechend behandeln.

Bei der Entwicklung dieser Materialien haben mobilitätsbehinderte Leute und solche, die mit Behinderten zu tun haben, mitgeholfen. Viele Arbeitsblätter und die meisten der vorgestellten Projekte wurden im Unterricht mit Oberstufenschülerinnen und -schülern erprobt und haben grossen Anklang gefunden.

Allen Vorurteilen, Ängsten und Hemmschwellen zum Trotz haben sich alle betroffenen Jugendlichen in dem Unbekannten gestellt, haben gelernt und sind verständnisvoller und stärker aus diesen Lebensschulen herausgekommen.
Jedem war schlussendlich klar, dass der folgende Spruch nicht bloss ein Wortspiel ist:

Ich kann ja doch nichts ändern
Ich kann ja doch nichts
Ich kann ja doch
Ich kann ja
Ich kann





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